Jauch-Millionär Freise gegen
spekulativen Weltmeister Mainzer Oberbürgermeister Beutel erwehrt sich des „Tigers von Madras“
mit einem schnelleren PC Von Eric van Reem
Am 15. August (18.30 Uhr) spielen die Menschen in der Mainzer Rheingoldhalle allerdings nicht mehr gegen den Computer, sondern mit dem Computer. Es werden zwei besondere Handicap-Matches ausgetragen: Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel (Deutsche Wertungszahl 2075) wird mit einem PC ausgestattet, der einen 2200-getakteten-Prozessor und 512 MB Speicher besitzt. Beutels Kontrahent, Ex-Weltmeister Anand, muss sich mit einem langsameren Notebook mit maximal 733 MHz und 128 MB Speicher begnügen. Beide Spieler dürfen während der Partie das weltweit bekannteste Schachprogramm, Fritz 7, einsetzen, das die schwedische Computer-Weltrangliste anführt. Im zweiten Vergleich trifft der russische Großmeister Peter Swidler (Weltranglisten-14. mit 2690 Elo) komplett ohne Computer-Unterstützung auf Prof. Eckhard Freise (Elo 2018). Der erste Gewinner einer Million Mark bei der Jauch-Quiz-Show „Wer wird Millionär“ bewaffnet sich mit einem 733 MHz Notebook (128 RAM). Der versierte Amateur aus Münster darf das Weltmeister-Programm Junior 7 zu Rate ziehen. Gespielt werden in beiden Wettkämpfen zwei Partien mit 25 Minuten Bedenkzeit je Spieler, dazu gesellen sich zehn Sekunden pro Zug. Das israelische Programm Junior, das wie Fritz von dem in der Schach-Software führenden Hamburger Unternehmen ChessBase vertrieben wird, wurde von Amir Ban und Shay Buschinski entwickelt. Im Juli wurde das spektakulär spielende Programm bei der WM in Maastricht zehnter Computer-Weltmeister aller Klassen. Junior fiel besonders durch seine aggressive, manchmal sogar spekulative Spielweise auf. Diese modernen Handicap-Duelle sind eine Fortsetzung der fast vergessenen Wettkampfform der Vorgabepartien. Es macht Spaß, Schach zu spielen, insbesondere gegen die Größen dieses Fachs - nur verlieren möchte keiner. Zu allen Zeiten wurde deshalb nach einem Ausgleichsfaktor gesucht, um annähernde Chancengleichheit zu gewähren. Bei den Chess Classic Mainz ist dies beispielsweise am 14. August in den Simultan-Vorstellungen des neuen Weltmeisters Ruslan Ponomarjow (Ukraine/ab 16 Uhr) und „Grazie“ Alexandra Kostenjuk (Russland/17 Uhr) der Fall. Beide Spitzenspieler können nur einen Bruchteil der Bedenkzeit nutzen, die ihren Gegnern zur Verfügung steht. Der deutsche Großmeister Robert Hübner fand noch eine andere, schwierigere Alternative: Er spielte am 25. September 1999 ein Blind-Simultan an acht Brettern gegen den Schachclub Kreuzberg, der es mit einem Elo-Durchschnitt von 2297 auf Meisterstärke brachte. Hübner gewann trotzdem 6,5:1,5 und verlor keine einzige Partie! Im 19. Jahrhundert war
es üblich, sogar in Wettkämpfen mit ungleichem Material zu spielen.
Das berühmteste Beispiel dürfte das 1836 in Paris ausgetragene Match
des Ungarn Josef Szén gegen den Franzosen Louis Charles Mahé de la
Bourdonnais sein. Letzterer, zu diesem Zeitpunkt der beste Spieler der
Welt, gab einen Bauern vor und außerdem noch einen Zug: Szén durfte
folglich als Weißer zu Spielbeginn zwei Züge hintereinander machen
und als Schwarzer die Partie eröffnen. Mit diesem großen Vorteil
ausgestattet, konnte Szén das Duell mit 13:12 denkbar knapp für sich
entscheiden. Gerade dieses Match galt jahrzehntelang als der Beweis,
dass eine solche Vorgabe die Chancen zwischen einem starken Meister
und einem guten Amateur fast genau ausgleicht. 2001 kam es zu einem
Schaukampf zwischen dem englischen Millionär Terence Chapman (Elo
2200), der vier Vorgabepartien gegen Garri Kasparow, den stärksten
Profi unserer Zeit, spielte. Mit 2,5:1,5 setzte sich der
Weltranglistenerste, der 30 Minuten Bedenkzeit und stets zwei Bauern
vorgab, durch. Advanced Chess: Symbiose Mensch-Computer Während des Wettkampfs im Frühjahr 1996 gegen IBM-Großrechner Deep Blue war Kasparow die Idee zu Advanced Chess gekommen. Die Spieler sollten während der Partie mit einem Computer arbeiten dürfen. Zum einen können sie so in Datenbanken nach den besten Eröffnungsvarianten stöbern, zum anderen mit einer Schach-Engine Varianten überprüfen. Ein Jahr später wandte sich Marcelino Sion, Schachveranstalter in der spanischen Provinzhaupstadt Leon, an Kasparow. Er wollte einen spektakulären Wettkampf mit dem damaligen Weltmeister veranstalten. Der Russe, der sich gerade von seiner Niederlage gegen Deep Blue erholte, hatte gleich einen ungewöhnlichen Vorschlag. Statt eines konventionellen Vergleichs könne man doch etwas ganz Neues versuchen: einen Advanced-Chess-Wettkampf, bei der zur Abwechslung Mensch und Maschine zusammen statt gegeneinander spielen. Das erste Advanced-Chess-Match wurde 1997 zwischen Kasparow und dem Bulgaren Weselin Topalow ausgetragen. Es endete 3:3. Ein Jahr später verzichtete Kasparow, nach Differenzen mit dem Veranstalter, auf ein Duell gegen Anand. Statt seiner trat Anatoli Karpow an. Der im Umgang mit Computer unerfahrene Ex-Weltmeister wurde von „Power-User“ Anand vernichtend mit 5:1 geschlagen. Bereits als 17-Jähriger machte Anand erste Erfahrungen mit der Schachsoftware von ChessBase. Als die ersten starken PC-Programme auftauchten, war der „Tiger von Madras“ derjenige der Spitzen-Großmeister, der sofort deren Analysefähigkeit für die eigene Vorbereitung einsetzte. Heute hat der Weltranglistendritte (Elo 2755) diese Kunst zur höchsten Perfektion gebracht. Anand gewann auch 2000 und 2001 die Advanced Chess Veranstaltungen von Leon. Heuer unterlag der Inder allerdings Wladimir Kramnik knapp mit 2,5:3,5. Anand gilt trotzdem als der erfahrenste Advanced-Chess-Spieler der Welt. Nur gegen Computer spielt er indes nicht mehr so gerne. Das anstehende Match in Bahrain zwischen Fritz und Kramnik findet der Ex-Weltmeister „so spannend wie den 150. Menschen auf dem Mond“. Advanced Chess sei eine ganz andere Geschichte: „Es ist aufregend, zu sehen, wie der Mensch die Stärken von Computern in Zukunft nutzen wird.“ Besondere Bedeutung misst Anand der Zeiteinteilung bei: „Man muss wissen, wann man dem Rechner Zeit gibt und wann nicht.“ Kontrahent Jens Beutel hat sich noch keine Taktik zurechtgelegt: „Im Computerschach bin ich ohne nennenswerte Erfahrung. Aber es liegt auf der Hand, dass sichere Eröffnungsvarianten vorzuziehen sind. Insbesondere im Mittelspiel werde ich mich vor allem taktisch auf den Computer verlassen“, erklärt der Mainzer Oberbürgermeister und setzt fort, „zum Training komme ich allerdings nicht: noch stehen Amtsgeschäfte an, dann Urlaub ohne PC und anschließend geht es Mitte August sofort hinein in die Chess Classic.“ Der Computer-Inder betont, es sei wichtig, dass sein Gegner über ein gutes allgemeines Schachwissen verfüge, um die Schachsoftware „sinnvoll einsetzen zu können“. Aber kann der schwächere Gegner nicht einfach die Zugvorschläge von Fritz 7 ausführen? Beutel, der im Vorjahr in der Handicap-Disziplin „Simultan“ gegen Wladimir Kramnik remisierte, meint: „Es gibt doch häufig gleichwertige Wahlmöglichkeiten, bei denen der Stil des Spielers entscheidend ist.“ Entsprechend will er das Programm Fritz 7 lenken.
Da die Vorlesungszeit an der Uni in Wuppertal erst gerade endete, kam Freise nur zu taktischen Überlegungen. „Ernsthaft“ trainieren will der Professor die nächsten Wochen. Immerhin weiß er schon jetzt, wie viele Varianten er sich gleichzeitig von Junior 7 anzeigen lässt: „Während meiner Fernschach-Karriere habe ich mir angewöhnt, bei Analysen mehrere, am besten drei Variantenstränge laufen zu lassen und immer wieder in die einzelnen Zugvorschläge hineinzugehen. So hat es Großmeister Rainer Knaak im ChessBase-Magazin einst empfohlen. Hierbei ist mir doch aufgefallen, wie sehr die Bewertung einer Stellung bei Fritz und auch anderen Programmen innerhalb von drei bis vier Zügen schwanken kann. Dergleichen Erfahrungen relativieren eine etwaige Computer-Gläubigkeit doch ganz erheblich!“ |
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