Von Ferdinand Bäuerle
Artikel veröffentlicht in Badische Neueste Nachrichten
„Wussten Sie, dass gerade ein Schachweltmeister bei Ihnen gespeist hat?“, fragte ein Gast die Bedienung in einem Cafe am Augustaplatz. „Echt? Nee, ich dachte, es sei ein Geschäftsmann“, lautete ihre Antwort. Der Gast war kein geringerer als der im indischen Madras geborene Viswanathan Anand, der von 2007 bis 2013 der 15. Weltmeister in der Geschichte des königlichen Spiels war, ehe ihn der Norweger Magnus Carlsen ablöste. Bei der Grenke Chess Classic, einem Großmeisterturnier der Extraklasse, trafen die beiden im Kulturhaus LA 8 erneut aufeinander und wiederum musste Anand sich dem erst 24-Jährigen geschlagen geben. Es war nicht sein Turnier, dies darf bereits vor der letzten Runde am heutigen Montagabend gesagt werden. Anand musste auch dem Armenier Levon Aronian gratulieren, ebenfalls einem Weltmeister, jedoch in den Spezialdisziplinen Schnell- und Blitzschach.
„Ich bin aus Stuttgart angereist, um neben Carlsen, Anand und Aronian auch den starken Italiener Fabiano Caruana live zu sehen – vier der besten Schachspieler der Welt“, sagt Wolfgang Schmid und freut sich, dass dank Initiator und Sponsor Wolfgang Grenke mit diesem Turnier die Tradition bedeutender Schachturniere des letzten und vorletzten Jahrhunderts in der Kurstadt fortgesetzt wird. Schmid selbst ist FIDE-Meister und hat früher für die Stuttgarter Schachfreunde in der 1. Bundesliga gespielt. Überhaupt, ein Blick in den Zuschauerraum offenbart, dass es sich um ein fachkundiges Publikum handelt: Von einer geschätzten Quote von 95 Prozent Fachbesuchern können beispielsweise Messegesellschaften nur träumen. Vorwiegend sind es Vereinsschachspieler, die sich die spannenden Begegnungen und hochklassigen Partien anschauen. „Wir sind mit einer Delegation von sechs Mann angereist“, verrät Peter Nussbaum, Bürgermeister der schwäbischen Gemeinde Lichtenstein nahe Reutlingen, dessen Hobby natürlich Schach spielen ist, im BNN-Gespräch.
Dass sie mal warten müssen, um hautnah zu kiebitzen, ist auch für sie neu. Mehr als 300 Zuschauer sind jedoch nicht zugelassen, um die Gedanken der Großmeister nicht ins Wanken zu bringen. Schach ist eben nicht Fußball, es herrscht absolute Stille, jedes Türquietschen im Spiegelsaal des LA 8 hätte stören können. Zweifelsohne unterstreicht Baden-Baden mit diesem Großmeisterturnier seinen Ruf als Deutschlands Schachhochburg.
1870 fand in der Bäderstadt das erste deutsche Schachturnier von internationalem Rang statt, weltberühmt ist zudem das Turnier von 1925, das Weltmeister Alexander Aljechin gegen stärkste Konkurrenz und ohne Verlustpartie gewann. Vier Wochen lief das Turnier damals, bezahlt von der Stadtverwaltung. Die Hoteliers gewährten freie Kost und Logis, weil Schach etwas galt. Und heute? Heutzutage logieren viele Schachvereine überwiegend in Räumen von Kindergärten, Schulen und alten Rat- und Gemeindehäusern. „Es ist schwierig, neue Mitglieder zu gewinnen, ganz abgesehen von der Finanzierung des Spielbetriebs“, sagt Heinz Schmekenbecher, der Ehrenvorsitzende der Schachfreunde Lichtental, die auf eine über 60-jährige Tradition zurückblicken. Noch kämpfe der Verein nicht ums Überleben wie bei den Schachfreunden Oos, doch der Trend gehe immer mehr zum Online-Schachspielen im Internet, statt sich am Brett mit dem Gegner zu messen.
Wenngleich der Besuch der Grenke Chess Classic als sehr gut bezeichnet werden darf, kann es jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der LiveÜbertragung der Partien per Internet zig Tausende klicken. Schade finden diese Entwicklung viele Vereinsvorstände der 18 mittelbadischen Schachvereine, für die das königliche Spiel so viel bietet wie keine andere Sportart: Man kann es einzeln oder in der Mannschaft spielen, mit verschiedenen Bedenkzeiten, mit Gleichgesinnten aller Nationalitäten und Hautfarben, mit Menschen mit einem Handicap, von der Jugend an bis ins hohe Alter oder sich alleine gegen mehrere Spieler (Simultan) versuchen. Doch die Hoffnung stirbt auch bei den Funktionären zuletzt, schließlich benötigt eine bis zu sechsstündige Turnierpartie auch ein langes Durchstehvermögen.