Schauspieler Gerd Silberbauer in der Rolle als Dr. Bertram (Foto: Hartmut Metz) |
Überzeugend dem Wahn auf 64 Feldern verfallen: Stehende Ovationen für Silberbauer
Von Hartmut Metz
„Ausgerechnet ein Schachbuch!“ Die Enttäuschung von Dr. Bertram, der bei einem Gestapo-Verhör das Werk aus einem aufgehängten Mantel stehlen konnte, wich bald der Begeisterung für die Materie. So zerbrach er nicht an der monatelangen Isolierhaft der Nazi-Schergen. „Ausgerechnet ein Schachbuch!“ – derlei Klage war am Dienstagabend im Bühler Bürgerhaus „Neuer Markt“ nirgends zu vernehmen. Die rund 350 Besucher feierten „Die Schachnovelle“ mit stehenden Ovationen. Die galten vor allem Gerd Silberbauer, der in der Novelle von Stefan Zweig den Hauptdarsteller Dr. B. mimte. In der Bühnenfassung von Helmut Peschina, die seit der Uraufführung 2004 zum fünften Mal auf Tournee geht, heißt er weniger anonym Dr. Bertram. Und den Ich-Erzähler spielt Jörg Walter als Dr. Friedrich Hartl zurückhaltend, aber überzeugend. Letzteres gilt noch mehr für Andreas Klein, der den schottisch-amerikanischen Ölbaron McConnor perfekt selbstüberschätzend und überkandidelt darstellt. Obwohl von Dr. Hartl rasch als „drittklassiger Schachspieler“ eingestuft, scheut der Neureiche keine 250 Dollar, um den auf dem Dampfer gen Südamerika entdeckten Weltmeister herauszufordern. Der gelangweilte Mirko Czentovic (Daniel Pietzuch) schlägt die aufgeregte Meute zwischen der Zeitungslektüre aufreizend lässig – bis Dr. Bertram vorbeischlendert und gegen den „Bauerntrampel aus der Puszta“, der außer Schach nichts kann, in scheinbar hoffnungsloser Lage ein Remis rettet.
Bevor es zum direkten Duell am nächsten Tag kommt, eröffnet der Wiener Jurist Dr. Hartl, warum er so gut spielt. Ein Schachbuch mit 150 Meisterpartien bewahrte ihn vor dem Zusammenbruch in der Einzelhaft („Ich hatte plötzlich eine Beschäftigung!“), weshalb er der Gestapo alles über seine Arbeit für Klöster und Adlige verschwieg. Die Partien gegen sich selbst führen jedoch zu einer „Schachvergiftung“. Silberbauer spielt die Wahn-Szenen mitreißend, die im Hintergrund auf Diagrammen tanzenden Figuren sorgen für das passende Bühnenbild. Das bedrohlich wachsende Gebrumme der Schiffsmotoren bei Wechseln der 18 Szenen unterstreicht die Dramaturgie.
Letztlich kommt der Protagonist ins Krankenhaus und wird freigelassen, um sofort genSüdamerika auszureisen – Parallelen zu Zweigs Leben, der mit der „Schachnovelle“ die Nazis anprangert. Dass im brasilianischen Portugiesisch das Wort für „Schachspiel“ und „Gefängnis“ identisch ist, mag Zweigs Fantasie beflügelt haben. Der nur leidliche Hobby-Schachspieler schuf jedenfalls einen Klassiker für die Denksportler, der Laien dank der psychischen Komponenten noch mehr begeistert.
Nur der Schlussakkord, als Dr. Bertram den Weltmeister schlägt, verläuft unpassend. „Die Komik war sicher nicht Zweigs Intention“, glaubt Karlheinz Eisenbeiser mit Blick auf das Verhalten des im Buch so bescheiden beschriebenen Dr. B. Der Oberliga-Routinier war eigens aus dem rund 200 Kilometer entfernten Buchen angereist, um die Aufführung zu sehen. Die „Traumatisierung“ sei jedoch „beeindruckend dargestellt“, hebt Eisenbeiser darauf ab, wie Dr. Bertram erneut die „Schachvergiftung“ packt. Dr. Hartl reißt ihn bei der Revanche vom Brett weg und rettet ihn so vor dem Wahnsinn.
„Für einen Dilettanten ist dieser Herr ungewöhnlich begabt!“, schließt Weltmeister-Bauerntölpel Czentovic das Stück auf dem Schiff nach Rio verbal ab. Zwei Tage nach dem Versand des „Schachnovelle“-Manuskripts an seinen Verleger nahm sich Stefan Zweig zusammen mit seiner Frau am 23. Februar 1942 im brasilianischen Exil das Leben.
Dr. Bertram (Gerd Silberbauer/links) wagt das Duell gegen Weltmeister Mirko Czentovic (Daniel Pietzuch). Foto: Metz |
Mit freundlicher Genehmigung des Badischen Tagblatt